Russische Folklore

Russischer Tanz Elena Wähnert
Das russische Volk besitzt eine reiche Tanzfolklore. Berichte über russische Tänze finden wir in geschichtlichen Werken und Schriften aus dem 11. Jahrhundert. Lieder und Tänze spielten im Leben des russischen Volkes schon immer eine große Rolle. In vielen Tänzen kommen die nationalen Züge des russischen Charakters sehr klar zum Ausdruck.

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Chorowod

Die älteste Art des russischen Tanzes ist der so genannte „Chorowod“
(Reigentanz einer Gruppe von Teilnehmern, die sich an den Händen halten). Das Ornament des russischen Chorowod ist Äußerst mannigfaltig. Er wird in Kreisen, Halbkreisen, konzentrischen oder Parallelkreisen, in „Sternchen“ oder „Körbchen“ getanzt. Einige solcher Reigentänze werden in Linien aufgeführt, wie „Schlänglein“, „Tor“, „Zaun“, „Schnecke“, andere wiederum in Reihen…

Improvisationstänze

Die zweite Art von Tänzen, die für die russische Tanzkunst charakteristisch ist, sind die Improvisationstänze. Sie werden als Solotänze (Mann oder Frau), in Paaren oder von mehreren Tanzenden aufgeführt. In diesen Tänzen kommt die Individualität des Tanzenden besonders stark zum Ausdruck. Der „Perepljaß“ ist eine Art Tanz um die Wette, wobei jeder der Reihe nach auftretende Tänzer bestrebt ist, den anderen durch seine Tanzmeisterschaft, Phantasie und bessere Ausführung der Bewegungen zu übertrumpfen. Diese Tänze sind voller Humor und Scherz.

Die Tänze werden auch von so genannten „Tschastuschki“ (Volkscouplets, Vierzeiler) begleitet.

Quadrille und Lancy

Später entstanden im Volk Tänze in der Art der Quadrille und des Lanciers (Quadrille à la cour). Die Ball-Quadrille fand schon während der Leibeigenschaft Eingang in die Landgüter und von Dorf ins Dorf, wo sie sich rasch einbürgerte, verbreitet und bis auf unsere Tage erhalten geblieben ist. In den Volkstänzen „Quadrille“ und „Lanzy“ hat sich der Charakter des Tanzes vollkommen geändert. Die Schritte des Balltanzes machten den Bewegungen des Volkstanzes Platz: dem „Kolena“, „Wychodki“ und dem „Drobi“.

Verallgemeinerte Bezeichnungen russischer Tänze wie „Chorowod“, „Quadrille“, „Lancjers“, „Barynja“, „Perepljaß“ und „Tschastuschki“ sind für alle Gebiete Russlands charakteristisch. Aber in jedem Gebiet haben diese Tänze ihre eigene Prägung, eigene Variationen und Bezeichnungen. Letztere stammen gewöhnlich vom Namen des Ortes (des Dorfes, Bezirks), in dem der Tanz aufgekommen ist, oder von dem Titel des Liedes, zu welchem er getanzt wird.


Maxim Gorki über den Russischen Tanz

Maxim GorkiMaxim Gorki beschrieb den russischen Tanz folgendermaßen:

„`Zigeunerchen` fuhr sich mit der Hand durchs Haar, zupfte sein gelbes Seidenhemd zurecht und kam dann behutsam, als ginge er über spitze Nägel, in die Mitte der Küche. Seine braunen Wangen röteten sich, und mit dem verlegenem Lächeln bat es: `Aber nur recht flott, Jakow Wassiljewitsch!`

Die Gitarre ging in rasendes Tempo über, Wanjas Absätze schlugen kurz und scharf gegeneinander, auf dem Tisch und im Spind klirrte das Geschirr, und mitten in der Küche wirbelte `Zigeunerchen` wie ein lebendiger Feuerbrand, stieß dann – die Arme bewegte er wie Flügel – wie ein Geier vor, schrie wild auf, hockte sich nieder und fegte wie eine goldene Uferschwalbe dahin. Alles ringsum wurde von dem rieselnden Glanz der Seide erhellt, die wie schmelzendes Metall zu glühen und zu strahlen schien.

`Zigeunerchen` tanzte unermüdlich, völlig selbstvergessen; hätte man die Tür ins Freie geöffnet – er hätte draußen weiter getanzt, die Straße entlang, durch die ganze Stadt, Gott weiß wohin…“

Plastisch und markant beschreibt Gorki auch den russischen Frauentanz, und zwar seine Stammesmutter – eine Hüterin der Traditionen echter Volkskunst.

„Von allen Seiten begann man sie zu bitten, und so erhob sie sich denn jugendlich munter, zupfte ihren Rock zurecht, gab sich einen Rick, warf den schweren Kopf zurück, durchmaß die Küche und rief: `Ja, lacht nur – wohl bekomm`s euch! Nun, Jaschka, spiel mal ein auf !`

Der Onkel reckte und straffte sich, schloss die Augen und spielte eine langsame Weise; `Zigeunerchen` hielt einen Augendblick inne, sprang dann hinzu und hüpfte im Hocktanz, wobei er die Beine von sich schnellte, rund um die Großmutter herum, während die geräuschlos über den Boden hinglitt, als schwebe sie durch die Luft, und, während sie die Arme ausbreitete, ihre dunklen Augen unter den hochgezogenen Brauen irgendwohin in die Ferne richtet.

Die Großmutter tanzte nicht, sondern erzählte gleichsam etwas durch ihre Bewegungen. Jetzt geht sie leise, nachdenklich, schwankend, lugt unter dem emporgehobenen Arm hervor, Ihr kräftiger großer Körper wiegt sich unentschlossen, und die Füße tasten behutsam vorwärts.

Dann bleibt sie stehen, als sei sie plötzlich über irgend etwas erschrocken. Ihr Gesicht erzittert, wird finster und strahlt dann im nächsten Augendblick in gütigem und hellem Lächeln. Nun weicht sie zur Seite, als gebe sie für jemand den Weg frei oder führe ihn an der Hand: mit gesenktem Kopf hält sie still und lauscht, ihr Lächeln wird immer fröhlicher, immer heller – und plötzlich reißt sie sich dann von ihrem Platz los und wirbelt umher, ihre Gestalt wird schlanker und höher und nun vermag man die Augen nicht mehr von ihr zu wenden, so bildschön und lieb erscheint sie in diesen Augendblicken köstlicher Rückkehr zur Jugend!“
(M. Gorki, „Meine Kindheit“)